Hank Williams - der letzte Lebensmonat (Dezember 1952)
Alone and Forsaken
By fate and by man
Oh, Lord, if you hear me
Please hold to my hand,
Oh, please understand
Von Manfred Reinhardt
Hanks autobiographischer Hilferuf in einem seiner großen Songs, auf dem Schallplattenmarkt erschienen im Januar 1952, reflektierte in jenen Tagen des ausklingenden Jahres 1952 in fataler Weise eine gelebte Wirklichkeit, aus der es keinen Ausweg und kein Entkommen zu geben schien. Doch nur wenige, die ihm nahe standen, hörten zwischen den Zeilen die Alarmglocken läuten. Vieles spricht dafür, dass Hank Williams damals, als er den Song schrieb, schon geahnt hatte, dass seine Zeit bald abläuft. Sein Freund Ray Price, mit dem er sich in den ersten 6 Monaten des Jahres 1952 ein kleines Haus in Nashville geteilt hatte, berichtete, Hank habe ihm nach Trennung und Scheidung von Ehefrau Audrey anvertraut, sein Leben werde nicht mehr länger als ein Jahr dauern. Nach dem unrühmlichen Ende seiner Zugehörigkeit zur Grand Ole Opry im August jenes Jahres glich sein Leben tatsächlich einem von ihm selbst gesteuerten Absturz ins Bodenlose. Hanks Chronisten beschrieben seine Lebenssituation in düsteren Metaphern, etwa als Höllenfahrt im Roller Coaster (Paul Hemphill). Chet Flippo brachte Hanks Verfassung mit wenigen Buchstaben auf den Punkt: Atrocious, was soviel bedeutet wie schlimm, entsetzlich, miserabel. Colin Escott schrieb, sein Erscheinungsbild sei ungepflegt gewesen, was ihn nicht zu bekümmern schien, die Nase tropfte ständig, Hank schien seine Selbstachtung verloren zu haben. Vermeintlich befreit von der Bürde, sein Leben den strikten Vorgaben und Prinzipien der Grand Ole Opry in Nashville unterwerfen zu müssen, trieb es Hank förmlich an, in den letzten Wochen seines Lebens nochmals selbst alle Register zu ziehen.
Ernüchterung beherrschte auch bald seinen Honeymoon mit Billie Jean Jones, die am 18. Oktober 1952 seine Frau geworden war. Die junge Ehe wollte nicht so recht in die Gänge kommen. Auf einer Bühne in New Orleans, als Show inszeniert, hatte Hank vor zahlenden Fans die rothaarige Schönheit, sein Cajun Baby aus dem tiefen Süden der USA, gleich zwei Mal geheiratet. Eine anschließend geplante Hochzeitsreise nach Kuba kam nicht zustande. Billy Jean musste schon sehr bald erkennen, dass ihr erträumtes Glück an Hanks Seite, entrückt in eine der Rollen der damals berühmten Schauspielerin Maureen O’Hara, von Glanz und Glamour meilenweit entfernt war.
Von der anfänglichen Begleitung ihres zumeist alkoholisierten Mannes zu den Show-Terminen zog sie sich sehr bald nach Shreveport im nordwestlichen Louisiana zurück, wo ihre Familie lebte. Sie hatte ein kleines Apartment von einem entfernten Verwandten für sich und Hank angemietet. So wurde auch für Hank Shreveport zum temporären Lebensmittelpunkt, zumindest an den Wochenenden, wenn sein Auftritt im Shreveport Municipal Auditorium als jour fixe in seinem Terminkalender vorgemerkt war. Der Saal war über Jahre hinweg Veranstaltungsort einer gigantischen Country Music Show, bekannt als die "Louisiana Hayride - The Cradle Of The Stars". Die Show konnte als Live-Übertragung an jedem Samstag um 20.00 Uhr über den 50000 Watt starken Rundfunksender KWKH auf Mittelwelle flächendeckend im amerikanischen Süden und Westen bis zur Pazifikküste empfangen werden.
Stage Manager Horace Logan hatte Hank nach dessen Rückzug aus Nashville an der Hayride mit offenen Armen und einem Honorar-Angebot von 200 Dollars pro Woche willkommen geheißen. Sein erster Auftritt war am 13. September 1952, gefolgt von einer Hank Williams Homecoming Show eine Woche später (am 20.09.1952). Unterbrechungsfrei, wenn auch nicht immer unproblematisch, waren Hanks Auftritte an den folgenden Samstagen bis zum 29. November 1952. Hank Williams als die unverhoffte Hauptattraktion sicherte ein volles Haus. Die Bestuhlung des Saals bot
Sitzplätze für knapp 3300 Zuschauer und konnte bei Bedarf auf bis zu 4000 Sitzplätze erweitert werden. Hanks Zugehörigkeit zur Hayride Truppe zahlte sich rasch aus.
Während einer dieser Shows war es zu einem Eklat gekommen, als Hank seinen Auftritt vorzeitig beenden musste. Er litt seit Wochen an einer unbehandelten fiebrigen Grippe und schweren Bronchitis. Eine Lungenentzündung war nicht weit entfernt. Hinzu kam sein notorischer Alkohol- und Tablettenmissbrauch. Teile des Publikums reagierten mit Unmut, andere zeigten sich belustigt und buhten Hank aus. Dies rief Horace Logan auf den Plan, der sich schützend vor den kranken Hank Williams stellte und das Publikum ermahnte:
"Ihr Leute seid von diesem Mann seit Jahren unterhalten worden. Ihr kennt
seine Fähigkeiten, ja das Genie, das in diesem Mann steckt.
Er braucht euere Hilfe, euer Verständnis und nicht euere Doppelmoral.
Ihr wisst alle, wie großartig er ist, wenn es ihm gut geht. Ich distanziere
mich davon, ihn wegen seiner Krankheit zu verspotten."
Doch dieser Appell zeigte nur wenig Wirkung. Draußen versuchten erzürnte Besucher, Hanks Auto umzuwerfen, was glücklicher Weise nicht gelang.
Heimgekehrt an die Hayride, die Stätte seines Wirkens von April 1948 bis Juni 1949, musste jeder Schritt, den Hank in Shreveport tat, ihn an seine glückliche Zeit mit Audrey und ihren dort geborenen Sohn Randall Hank (heute Hank Williams Jr.) erinnern. Hank durfte zum letzten Mal in Nashville im Mai 1952 ein paar Stunden mit seinem Sohn zusammen sein. Weitere Begegnungen scheiterten an Audreys Einspruch. Die Verweigerung, seinen Sohn wieder sehen zu dürfen, schmerzte Hank sehr.
Eine Operation an der Wirbelsäule im Dezember 1951, die seine Rückenschmerzen nicht zu lindern vermochte, sondern weiter verschlimmerte, gab dem Griff nach der Flasche eine gewisse Rechtfertigung seiner Alkoholabhängigkeit. Im Oktober 1952 hatte ein weiterer Akteur die Bühne des sich anbahnenden Dramas betreten. Toby Marshall, ein mehrfach Vorbestrafter, der mit gefälschten Papieren vorgab, Arzt zu sein, hatte sich an Hanks Fersen geheftet. Er schaffte es, sein Vertrauen zu gewinnen und saftige Honorare von ihm abzukassieren. Sehr bald entwickelte sich eine Abhängigkeit von Marshalls Behandlungsmethoden. Er hielt immer eine Spritze des Schmerzmittels Chloral Hydrate und andere Barbiturate in hoher Dosierung für Hank parat. In Kombination mit Alkohol potenzierte das auch in Tablettenform verordnete Präparat seine Wirkung als knock-out Droge. Hank hatte zudem die Angewohnheit, die Dosierung verschriebener Tabletten nach Gutdünken selbst zu erhöhen. Wiederholt musste er zur Ausnüchterung und zum Auspumpen des Mageninhalts in ein Krankenhaus in Shreveport eingeliefert werden. Zeugen wussten von zwei Fällen eines Atmungsstillstands zu berichten. Toby Marshall hatte durch sein Handeln jenseits jeglicher ärztlichen Professionalität eine Mitverantwortung an Hanks Tod und schwere Schuld auf sich geladen, obwohl er auf dessen letzter Reise in der Neujahrsnacht 1952/53 nicht dabei war, sondern sie nur aus der Ferne verfolgte und per Telefon Instruktionen gab. Wenige Monate nach Hanks Tod wurde Marshall auf Betreiben von Hanks Witwe Billie Jean verhaftet und einem Gericht in Oklahoma überstellt, doch die erhobenen Beweise reichten nur zu einem Schuldspruch wegen der Verletzung von Bewährungsauflagen. Nach Verbüßung einer kurzen Haftstrafe war Toby Marshall bereits am 1. Mai 1954 wieder auf freiem Fuß. Ein weiteres Strafverfahren wegen unerlaubten Besitzes von Barbituraten folgte im September 1956 und brachte Marshall eine Gefängnisstrafe von einem Jahr ein. Danach verlor sich von ihm jede Spur.
Vor diesem Hintergrund war es Dezember 1952 geworden. Dezember war ein Monat, in dem, rückblickend auf die Chronologie von Hanks Leben, auffallend viele schicksalhafte Ereignisse zu verzeichnen waren, so zum Beispiel, als
Hanks Chronisten, besonders der vor wenigen Jahren in Nashville verstorbene Bob Pinson, haben sich die verdienstvolle Aufgabe gestellt, alle wichtig erscheinenden Stationen von Hank Williams Leben aufzuarbeiten und chronologisch darzustellen. Das Projekt ist, als Bob Pinson 2003 starb, auf halbem Weg stecken geblieben. Die Experten stimmen darin überein, dass es für den 30. November und die ersten Tage im Dezember 1952 keine Hinweise auf irgendwelche besonderen Aktivitäten von Hank Williams gab. Die sechs Tage sind im Kalender bis jetzt ohne Eintrag geblieben. Hank hatte nach der letzten Hayride Show am 29. November Horace Logan gebeten, ihn vom nächsten Show-Termin am 06. Dezember freizustellen. Er sollte in der größten Sportarena von Texas, dem als Oktagon konstruierten und mit 5000 Sitzplätzen ausgestatteten Sportatorium in Dallas, dem BIG D, auftreten.
Unter Experten war lange Zeit umstritten, ob es tatsächlich zu diesem Auftritt gekommen war. Weshalb es keine Ankündigung in der lokalen Presse und auf Plakaten gegeben hatte, ist 55 Jahre später nicht mehr zu beantworten. Zuverlässige Zeugen versichern, ein solcher Auftritt habe tatsächlich stattgefunden und sei am Tag der Veranstaltung über lokale Radiostationen angekündigt worden. Auch das Foto von Hank im Gespräch mit einem jugendlichen Fan soll an jenem Tag entstanden sein. Die Zeugen glauben auch, sich daran erinnern zu können, dass einer von Hank vorgetragenen Songs "I’ll Never Get Out Of This World Alive" gewesen war und Hank von der Haus-Band des Big "D" Jamboree, den Light Crust Doughboys, die auch unter dem Namen Country Gentlemen auftraten, begleitet worden sein soll. Hank stieß an jenem Abend im Sportatorium auf lokale Künstler, die er schon von früheren Auftritten in der Arena kannte, so u. a. Jimmy Fields (dessen Beziehung zu Hank ein eigenes Kapitel füllt – s. Rockin Fifties Nr. 95, S. 52), den Deejay "Big" Al Turner und seinen glühenden Bewunderer, den durch Polio verkrüppelten Riley Crabtree (Verfasser des späteren Tribute Songs "When Hank Williams Met Jimmie Rodgers"). Die Show im Big "D" dauerte vier Stunden bis Mitternacht und wurde vom lokalen Rundfunk-Sender KRLD ganz oder Segment Weise live ausgestrahlt. Hank machte sich danach gleich auf den Weg in Richtung Mississippi Golfküste, wo weitere Show Termine auf ihn warteten. Am 10. Dezember kam er nach Shreveport zurück, angeschlagen, übermüdet, von exzessivem Alkoholkonsum gezeichnet. Sein Zustand
war Besorgnis erregend. Billie Jean überzeugte Hank, sich am darauf folgenden Tag im North Louisiana Sanatorium behandeln zu lassen. Sein Aufenthalt im Krankenhaus am 11. Dezember war nur von kurzer Dauer. Es gelang ihm, die Klinik wenige Stunden nach Aufnahme unbemerkt zu verlassen und die Sauftour in der Stadt fortzusetzen. Dort nahm ihn die Polizei in ihren Gewahrsam und warf ihm unter Hinweis auf Beschwerden von Anwohnern vor, er habe in betrunkenem Zustand die öffentliche Ordnung gestört. Er trug einen blauen Serge-Anzug, einen grünen Hut mit einer großen Feder und hatte eine Pistole bei sich. Am späten Abend erschienen Billie Jean und ihr Bruder Sonny, um Hank bei der Polizei auszulösen und ihn zurück ins Krankenhaus zu bringen.
Am 13. Dezember fand sich Hank wieder auf der Bühne des Auditoriums für eine weitere Hayride Show, die seine letzte werden sollte. Sein Auftritt verlief ohne Zwischenfälle. Kaum dass sich der Vorhang im Shreveport Municipal Auditorium gesenkt hatte, brach Hank zu einer neuen Tour auf. Sie sollte ihn zunächst nach Biloxi, Mississippi, und anschließend ins östliche Texas führen. In seinem Gefolge reisten die Geschwister Goldie und Tommy Hill, Billy Walker (der 2006 auf tragische Weise bei einem Verkehrsunfall in Alabama ums Leben kam), ein Cowboy Sänger namens Al Rogers und Jimmie Day, Mitglied der Steel Guitar Players’ Hall of Fame und mit Hank seit den früheren Tagen ihrer gemeinsamen Zugehörigkeit zur Hayride befreundet. Sein Auftritt in Houston, Texas, am 14. Dezember im ausgebuchten Cooke’s Hoedown Club drohte zu scheitern, nachdem Hank auf der Fahrt einen Zusammenbruch seiner Atmung erlitt und verzweifelt nach Luft rang. Tommy Hill und seine Schwester Goldie zerrten Hank aus dem Wagen und schüttelten ihn so lange, bis die Atmung wieder einsetzte. Bei Ankunft im Rice Hotel wurde Hank mittels einer Krankentrage auf sein Zimmer gebracht. "Leibarzt" Toby Marshall erwartete ihn bereits mit einem mörderischen Cocktail von uppers and downers, um Hank für den Auftritt wieder auf die Beine zu stellen.
Derweil kochte im Hoedown Club die Stimmung hoch. Der Veranstalter versuchte die Lage zu entschärfen und versprach, den Eintrittspreis zu erstatten, falls Hank nicht erscheinen sollte. Als Hank schließlich im rückwärtigen Bereich der Bühne aufgetaucht war, was sich wie ein Lauffeuer verbreitete, spaltete sich das Publikum in zwei Gruppen, eine, die Hank auf der Bühne sehen wollte und eine andere, die ihr Missfallen artikulierte, indem sie ihn ausbuhte. Hanks Rücken schmerzte und er schrie laut "They’re killing me … they’re killing me … they’re working me to death". Jemand schubste Hank auf die Bühne und die Show war "ON". Hank schaffte immerhin zwei von drei für ihn reservierte Programmabschnitte und das Publikum schien zufrieden. Am darauf folgenden Tag, es war Montag der 15. Dezember 1952, hatte sich Hanks Zustand weiter verschlechtert. Es gab Gerüchte, Hank habe einen Herzinfarkt erlitten. Vermutlich bewirkte die am Vortag verabreichte Medikamenten-Überdosis, dass Hank kaum mehr ansprechbar war. Sein gebuchter Auftritt in der kleinen Stadt Viktoria nahe der texanischen Golfküste konnte nicht verantwortet und musste abgesagt werden. Die Gruppe begab sich zum nächsten Show-Termin direkt nach San Antonio und von dort weiter nach Dallas. Hanks letzter Auftritt im Sportatorium lag gerade 10 Tage zurück. Seine Popularität schien ungebrochen. Er traf dort seinen Freund Ray Price und vermutlich auch Charlie Walker, in dessen Club er an seinem 29. Geburtstag am 17. September 1952 aufgetreten war (Rockin’ Fifties Magazin Nr. 97, Seite 48). Toby Marshall hatte Hanks Mutter über den bedrohlichen Gesundheitszustand ihres Sohnes unterrichtet. Lilly machte sich per Flugzeug sofort auf den Weg nach Texas, wo sie Zeuge wurde von Hanks letzten Auftritten auf dieser seiner letzten Reise. Die Shows in Snook und Dallas verliefen ohne Zwischenfälle. Den Abschluss dieser Tour bildete Hanks Auftritt im Skyline Club in Austin am Freitag (19. Dezember). Seine Rückkehr an diesen Ort verband sich mit Erinnerungen an bessere Zeiten. Es war genau der richtige Platz für den Abgesang auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte.
Wie überall auf dieser Reise sorgte allein der Name Hank Williams für ein volles Haus. Zuhörer, die keinen Sitzplatz mehr fanden, standen auf den Fluren und an den Seiten des Konzertsaals. Wie Sonny Hill sich zu erinnern glaubt, hatte Hank Williams Auftritt um 20 Uhr begonnen. Er sollte 30 bis 45 Minuten dauern. Doch um 21 Uhr sang und spielte Hank noch immer und so ging es weiter die halbe Nacht. Niemand konnte oder wollte ihn stoppen. Erst nach ein Uhr am frühen Morgen des 20. Dezember 1952 war sein Repertoire angeblich erschöpft. Es sei die beste Show gewesen, die Hank Williams jemals gab, so das Urteil von Fans aus dem Publikum. Der Ablauf der Veranstaltung hatte sich in der Erinnerung von Tommy Hill wohl etwas verklärt, denn Hank war nicht der Einzige, der in jener Nacht im Skyline Club auftrat.
Hanks Mutter Lilly drängte zum Aufbruch noch in derselben Nacht. Hank hatte hohes Fieber und war mit seinen Kräften am Ende. Er saß apathisch auf dem Rücksitz seines Cadillac. Lilly beschloss, ihn nach Montgomery zu bringen, um ihn dort gesund zu pflegen und ihm Gelegenheit zu geben, sich in vertrauter Umgebung zu erholen. Hank hatte nicht mehr die Kraft, sich Lillys mütterlicher Fürsorge zu widersetzen. In Shreveport angekommen brachte Lilly Hank sofort ins Krankenhaus, wo sich die befürchtete Lungenentzündung bestätigt haben soll. Hank bekam Antibiotika verordnet, während Billie Jean und Lilly im Apartment Hanks Sachen zusammen packten.
Lilly entschuldigte Hanks Fehlen auf der Hayride Show am Abend des 20. Dezember und an den folgenden Samstagen. Horace Logan hatte keine andere Wahl als zuzustimmen. Dann ging die Reise weiter nach Montgomery. Billie Jean wollte Hank nicht allein seiner Mutter überlassen (sie hatte dafür gute Gründe – es ging um Geld für die Erweiterung ihrer Pension, und zwar nicht wenig). So entschloss sie sich, mitzukommen. Wie auch im Verhältnis zu Audrey, machte Lilly aus ihrer Abneigung gegenüber Billie Jean keinen Hehl. Die spannungsgeladene Atmosphäre gewann zusätzliche Brisanz durch die Anwesenheit einer weiteren Frau, der hochschwangeren Bobbie Jett. Sie war Hanks Freundin gewesen, bevor er Billie Jean kennen lernte. Die Beziehung war nicht ohne Folgen geblieben. Hank hatte in einer notariell beurkundeten Erklärung die Vaterschaft anerkannt und finanzielle Regelungen für Mutter und Kind getroffen. Drei Tage nach Hanks Beerdigung erblickte das Kind, eine Tochter, das Licht der Welt - die heutige Country Music Sängerin Jett Williams.
Zurück in Mutter Lillys Pension in der 318 North McDonough St. in Montgomery, schloss sich ein Kreis, der vor viereinhalb Jahren so hoffnungsvoll begonnen hatte und zum Jahresende 1952 bei Rückkehr an den Ausgangspunkt in eine dramatische, ja bedrohliche Schieflage geraten war. Hank stand vor den Trümmern seines jungen Lebens, als er Verwandte im südlichen Alabama besuchte, um ihnen seine um 10 Jahre jüngere Frau Billie Jean vorzustellen. Bei Taft und Eileen Skipper, Verwandten mütterlicherseits blieben sie vom 24. auf den 25. Dezember über Nacht. Hank spielte auf der Front Porch zur Gitarre seinen jüngsten Song "Log Train", von dem er zuvor – welch ein Glück für die Nachwelt - eine Demo hatte aufnehmen lassen. Damit setzte er seinem Vater Lon Williams, der in Hanks Leben kaum eine Rolle gespielt hatte, ein Denkmal. Der Song schilderte das Leben seines Vaters, der als Lokomotivführer Baumstämme für die Timber Company auf Eisenbahnwaggons verladen half und sie zu den Holz verarbeitenden Betrieben brachte. Lilly und Lon lebten viele Jahre getrennt und wurden 1942 geschieden. Nach Genesung von einer im 1. Weltkrieg erlittenen Kopfverletzung hatte sich Lon Williams im gleichen Jahr wiederverheiratet. In der neuen Ehe wurde am 19. Juni 1943 eine Tochter geboren, Hanks Halbschwester Leila, die heute als Leila Griffin in Selma, Alabama, lebt. Die damals Neunjährige erinnert sich noch gut an jene Weihnachten. Hank und Billie Jean standen vor verschlossenen Türen, als sie am 25. Dezember Lon und seine Familie in McWilliams, 20 Meilen westlich von Georgiana, besuchen wollten. Lon, Ehefrau Ola und Tochter Leila waren zu jener Stunde selbst unterwegs, um mit Verwandten in Selma Weihnachten zu feiern. Die mitgebrachten Weihnachtsgeschenke ließen Hank und Billie Jean auf der Verandah des Hauses zurück. Darunter befand sich ein Teddy Bear für Leila, den sie noch heute in Ehren hält. Lon kam zeitlebens nicht darüber hinweg, dass er nicht zuhause gewesen war, als sein Sohn ihn besuchen wollte. Nur wenige Tage später wusste er, dass es ein Abschied für immer geworden wäre.
Zurück in Montgomery, traf Hank seine einstigen Weggefährten aus der Anfangszeit der Drifting Cowboys, Braxton Schuffert und Lum York. Am 28. Dezember trat er als Alleinunterhalter bei einer Veranstaltung der American Federation of Musicians im damaligen Elite Cafe im Zentrum von Montgomery auf. Das Café ist im Zuge der Wiederbelebung der Innenstadt Montgomerys im Jahr 2006 neu eröffnet worden. Es ist zugleich Gedenkstätte für Hanks letzte Show.
Billie Jeans Leidensfähigkeit war angesichts immer neuer Boshaftigkeiten und Schikanen von Seiten Hanks Mutter einer nicht geringen Belastungsprobe ausgesetzt. Die ewigen Querelen mit Lilly führten schließlich auch zu Spannungen zwischen ihr und Hank. Streitthema war u. a. die Rechtsgültigkeit der in New Orleans geschlossenen Ehe. Billie Jeans Vater wollte erfahren haben, dass die Ehe nicht rechtswirksam zustande gekommen war. Die Nerven lagen blank und der Streit kulminierte in beiderseitigen Tätlichkeiten. Hank ohrfeigte Billie Jean und es lag nahe, dass Hanks Kopfverletzung, die bei dem Post Mortem aufgefallen war, von diesem Streit herrührte.
Billie Jean sah jedenfalls keinen Grund mehr, noch länger in Montgomery zu verweilen und machte Anstalten für ihre Rückreise nach Shreveport, entschloss sich dann aber, erst nach Hanks Abreise nach Shreveport zurückzukehren.
Am 29. Dezember begann Hank mit den Vorbereitungen für seine Reise nach Charleston, West Virginia und Canton, Ohio. Der ihm vermittelte Fahrer Charles Carr, ein 19 Jahre alter Student und Sohn des Inhabers eines lokalen Taxiunternehmens, war nicht Hanks erste Wahl. Es fand sich aber sonst niemand, die lange Reise auf sich zu nehmen, zumal die Wetterprognosen Behinderungen auf den Straßen durch Schnee und Eis ankündigten.
Hank setzte große Hoffnungen in die beiden Konzertermine. Sie sollten ihm zu neuer Respektabilität verhelfen und eine Rückkehr an die Grand Ole Opry in Nashville ermöglichen.
Der Rest ist Geschichte … Hank starb lautlos auf dem Rücksitz seines Blue Cadillac in den frühen Stunden des 1. Januar 1953, irgendwo auf der Strecke in den Bergen von Virginia oder West Virginia, dort, wo die Country Music ihren Ursprung nahm.
Sein Tod hat viele Fragen aufgeworfen, auf die es 54 Jahre später noch immer nur unvollständige oder widersprüchliche Antworten gibt.